Reise ans Ende der Nacht (German Edition) by Céline Louis-Ferdinand

Reise ans Ende der Nacht (German Edition) by Céline Louis-Ferdinand

Autor:Céline, Louis-Ferdinand [Céline, Louis-Ferdinand]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2012-10-31T23:00:00+00:00


Man sollte sich da keine Illusionen machen, die Leute haben einander nichts zu sagen, sie reden jeder nur über das eigene Leid, das ist nichts Neues. Jeder für sich und die Erde für alle. Sie versuchen, ihr Leid beim anderen abzuladen, wenn sie lieben, zum Beispiel, aber dann geht das nicht, und sie können tun, was sie wollen, sie bleiben auf ihrem ganzen Leid sitzen und fangen immer wieder von vorn an, sie versuchen erneut, es irgendwo unterzubringen. «Sie sind aber hübsch, Mademoiselle», sagen sie. Und das Leben trägt sie weiter, bis zum nächsten Mal, wo sie denselben kleinen Trick wieder probieren. «Sie sind aber wirklich hübsch, Mademoiselle! …»

Und dann prahlt man in der Zwischenzeit, man hätte es geschafft, es loszuwerden, sein Leid, aber alle wissen nur zu gut, dass das überhaupt nicht stimmt, sondern dass man es fein brav und vollständig behalten hat. Weil man bei diesem Spiel immer hässlicher und abstoßender wirkt, je älter man wird, kann man irgendwann sein Leid nicht mal mehr verbergen, sein Scheitern, irgendwann hat man im Gesicht ständig diese Grimasse, die zwanzig, dreißig Jahre oder länger braucht, bis sie endlich aus dem Bauch nach oben in die Visage gefunden hat. Nur dazu dient so was, ein Mensch, eine Grimasse, an der er ein ganzes Leben lang herumbastelt, und das heißt auch noch nicht, dass er sie fertig kriegt, so schwer und kompliziert ist die Grimasse, die man machen müsste, um seine ganze wahre Seele darin auszudrücken, ohne etwas zu vernachlässigen.

Für meine eigene sorgte ich derzeit ganz ordentlich wegen den Rechnungen, die ich nicht bezahlen konnte, dabei waren die nicht mal hoch, und wegen meiner unmöglichen Miete, meinem für die Jahreszeit viel zu dünnen Mantel, dem Obsthändler, der verstohlen feixte, wenn er sah, wie ich meine paar Münzen zählte, vor seinem Brie zögerte, rot wurde, wenn die Trauben wieder teurer geworden waren. Und dazu die Patienten, die waren nie zufrieden. Dass Bébert gestorben war, hatte mir in der Gegend auch nicht gerade genützt. Aber seine Tante war mir gar nicht böse deswegen. Man konnte nicht behaupten, die Tante sei verärgert gewesen, das hätte man ja verstanden, aber nein. Eher von der Seite der Henrouilles da in ihrem Häuschen erntete ich plötzlich wieder jede Menge Ärger und halste mir Ängste auf.

Eines Tages kam die alte Mutter Henrouille einfach so auf die Idee und verließ ihren Verschlag, ihren Sohn, ihre Schwiegertochter; sie hatte beschlossen, mich aufzusuchen. Nicht dumm. Und dann kam sie immer öfter und fragte mich, ob ich denn wirklich glaubte, dass sie verrückt war. Das war so eine Art Abwechslung für die Alte, dass sie extra herkam, um mich das zu fragen. Sie saß dann in dem Raum, der mir als Wartezimmer diente. Drei Stühle und ein dreibeiniges Tischchen.

Als ich eines Abends nach Hause kam, saß sie da im Wartezimmer und tröstete gerade Béberts Tante, indem sie ihr erzählte, wen sie selber alles verloren hatte, die alte Henrouille, so unterwegs, an Verwandten, bis sie ihr Alter erreicht hatte, Nichten dutzendweise, ein paar Onkel hier



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